Über Hildegard von Bingen

Biografie und Visions Werke

„Von meiner Kindheit an erfreute ich mich der Gabe dieser Schau in meiner Seele bis zur gegenwärtigen Stunde, da ich schon mehr als siebzig Jahre alt bin. Und meine Seele steigt, wie Gott will, in dieser Schau bis in die Höhe des Firmamentes und die verschiedenen Sphären empor und hält sich bei verschiedenen Völkern auf, obgleich sie in fernen Gegenden und Orten weit von mir entfernt sind. Und da ich dies auf solche Weise in meiner Seele schaue, erblicke ich auch den Wechsel der Wolken und anderer Geschöpfe. Ich sehe dies aber nicht mit den offenen Augen und höre es nicht mit den äußeren Ohren; auch nehme ich es nicht mit den Gedanken meines Herzens wahr noch durch irgendeine Vermittlung meiner fünf Sinne, vielmehr einzig in meiner Seele, mit offenen Augen, so dass ich niemals die Bewusstlosigkeit einer Ekstase erleide, sondern wachend schaue ich dies bei Tag und Nacht.“ (Pitra)

 

Hildegard wurde im Jahre 1098 in Bermersheim bei Alzey als zehntes Kind geboren, und trug bereits die Gabe in sich, jene geheimnisvollen Zusammenhänge der Natur und des Menschen zu schauen, die allen anderen Augen verborgen sind. 

 

73 Jahre lang - von ihrem achten Lebensjahr an - stand diese zum Schauen bestellte Frau unter der maßvollen Führung klösterlichen Lebens nach der Regel St. Benedikts. Aber noch mehr bestimmte das innere, göttliche Licht all ihre Pläne und Lebensschritte. Für sie und ihre Erzieherin, Jutta von Sponheim, hatte deren Vater an das aufstrebende Benediktinerkloster Disibodenberg im Nahetal eine Frauenklause anbauen lassen. Nach Juttas Tod (1136) wurde Hildegard zur Äbtissin des herangewachsenen Adelskonventes gewählt. Fünf Jahre später empfing Hildegard ihrem gewöhnlichen zweiten Gesicht hinzu noch eine ganz andere Art von Erleuchtung mit dem Auftrag, das so Geschaute und Gehörte niederzuschreiben.

 

„Im Jahre 1141, als ich zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt war, kam ein feuriges Licht mit Blitzesleuchten vom offenen Himmel nieder. Es durchströmte mein Hirn und durchglühte mir Herz und Brust gleich einer Flamme, die jedoch nicht brannte, sondern wärmte wie die Sonne den Gegenstand, über den sie ihre Strahlen ausgießt. Nun war mir plötzlich der Sinn der Schriften erschlossen, der Psalmen, des Evangeliums und der übrigen Bücher des Alten und Neuen Bundes.“ (PL 383 B)

 

Die Seherin sollte zur Prophetin werden; sie erhielt von Gott einen konkreten Auftrag: „Schreib, was du siehst und hörst! Tu kund die Wunder, die du erfährst! Schreibe sie auf und sprich!“ (PL 443 A)

 

So ergriffen Hildegard vier Visionswellen von fünf- bis zehnjähriger Dauer und beschäftigten sie 32 Jahre lang, bis ins 74. Lebensjahr, mit der Niederschrift.

 

1147, während der Abfassung ihres ersten Buches Scivias, übersiedelte sie auf den Rupertsberg bei Bingen, wo sie auf Befehl ihres himmlischen Lichtes gegen starke Widerstände ein neues Kloster errichtete, das durch sie rasch zu hohem Ansehen gelangte. 1151 bis 1158 überkam sie dort die zweite Visionsepoche, die zur Abfassung ihrer „wissenschaftlichen“, das heißt medizinischen Schriften führte. Alle Bücher Hildegards sind frei von persönlichen Meinungsäußerungen. Zum Unterschied von den eigentlichen Mystikerinnen späterer Zeit pflegte Hildegard keinen „vertraulichen“ Verkehr mit Gott, sondern gab nur wieder, was aus den Urgründen der Welt an „Lebendigem Licht“ ununterbrochen auf sie einflutete. Darum zeichnet ihre Schriften eine heilige, durchsichtige Nüchternheit aus, die besonders ihrer Medizin zustatten kommt. In erschütterndem Gehorsam lebte sie ihr ganzes Leben, machte weite Predigt- und Missionsreisen durch ganz Deutschland und gehorchte noch über den Tod hinaus dem Befehl des Erzbischofs von Mainz, keine weiteren Wunder mehr an ihrem Grab zu wirken. Das Wunderverbot wurde 1979 zu ihrem 800 jährigen Gedenktag vom Bischof von Limburg aufgehoben. In ihren Schriften liegen auch heute noch genug Wunder Gottes verborgen.

 

Praktisch wurde bisher nur ihr erstes Werk, Scivias, in der Öffentlichkeit bekannt. Es hatte auf der Synode zu Trier (1147) gewaltiges Aufsehen erregt, dass nach vielen Jahrhunderten wieder jemand „aus dem Geiste der alten Propheten“ Plan und Sinn der ganzen Weltschöpfung enthüllte. 

Dieses Werk blendete und fesselte Zeitgenossen und Nachwelt derart, dass nur wenige Leser zu ihren übrigen, noch geheimnisreicheren Büchern vordrangen. Ihre Medizin blieb überhaupt völlig abseits liegen. 

 

Hildegard heilte - auf wunderbare Weise und durch Handauflegen - und war dafür berühmt. Nie aber wird erwähnt, dass sie oder sonst jemand ihre Medizinbücher benutzt hatte. Jetzt, achthundert Jahre nach seiner Abfassung, beginnen auch Ärzte sich dafür zu interessieren. Wir können also annehmen, dass sie ein Geschenk an unsere Zeit darstellt. Viele Stellen des Lehrbuches muten so modern an, dass erst unsere heutigen Medizinkenntnisse einen Schlüssel zu seinem Verständnis liefern. Hildegards Medizinlehre widerspricht unserem Wissen nicht, sondern ergänzt und erweitert es. Ihre Arzneimittel aber bieten neue, noch nie genutzte Möglichkeiten.

 

Hildegard starb am 17. September 1179 im Alter von 81 Jahren. Bei ihrem Tod erstrahlte ein helles Lichtkrenz am Himmel - ein Zeugnis dafür, dass sie das „lebendige Licht“ schauen durfte.

 

Nach ihrem Tod wurde Hildegard vom Volk wie eine Heilige verehrt. Dann geriet die Heilige für achthundert Jahre fast vollständig in Vergessenheit. Erst im letzten Jahrhundert, nach der sensationellen Entdeckung ihrer Heilkunde und der Neuausgabe ihrer Trilogie durch den Kardinal Pitra, begann eine wahre Hildegard-Renaissance.

 

 

Die Wichtigsten Werke der heiligen Hildegard von Bingen:

 

Scivias Domini“ (Wisse die Wege des Herrn)

Die Glaubenslehre, die zwischen den Jahren 1141 und 1151 entstanden ist.

 

„Liber Vitae Meritorum“ (Buch der Lebensverdienste)

Stellt den Menschen in seinem Zwiespalt zwischen Lastern und Tugenden dar, entstanden in den Jahren zwischen 1148 und 1163 und 

 

„Liber Divinorum Operum“ (Schau über Welt und Mensch) 

Zwischen 1163 und 1173 entstanden.